Carl Orff (1895-1982):

Prometheus

französisch Prométhée

Allgemeine Angaben zum Oratorium

Entstehungszeit: 1967
Uraufführung: 24. März 1968 in Stuttgart (Württembergisches Staatstheater)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 130 Minuten
Erstdruck: Mainz: Schott, 1967
Verlag: Mainz: Schott, 2000 (ED 6337, ED 5840, ED 5940)
Bemerkung: Carl Orff hat hier ein Werk geschaffen, welches unter den Kompositionen der Gegenwart in seiner Urgewalt seinesgleichen sucht. Das Melodram überwältigt durch die Wucht des in altgriechischer Sprache deklamierten Textes, dem Carl Orff seine Klangblöcke gegenüberstellt.

Dem Zuhörer sei noch ausgeführt, dass Herakles den Adler erschießen und Prometheus von seinen Ketten befreien wird. Auch Io gelingt es, Hera zum Mitleid zu bewegen und erhält ihre menschliche Gestalt zurück.

Die Bilder von der Uraufführung in Stuttgart beweisen, dass eine visuelle Wiedergabe das Erlebnis des gewaltigen Werkes steigert und vertieft.

Zum Oratorium

Art: Oratorium (Oper) nach dem Drama „Der gefesselte Prometheus“ des Aischylos
Libretto: Carl Orff
Sprache: altgriechisch

Personen der Handlung

Prometheus
Hephaistos
Hermes
Kratos
Okeanos
Die Okeaniden
Io

Handlung

1. Am Rand der Erde sind wir angelangt

Der Fußmarsch vom Olymp zu den Schluchten des Kaukasus ist doch eine beachtliche Wegstrecke. Kratos und Hephaistos stellen fest, dass sie am Rande der Erde angelangt sind. Der Fuß der Skythen schleift hier normalerweise durch die leere Wüste. Die Weggefährten haben einen Gefangenen dabei. Es ist Prometheus, der gegen den Willen des Göttervaters Zeus verstoßen hat und nun dem Strafvollzug zugeführt werden soll. Kratos, der seiner Aufgabe positiv gegenübersteht, fordert den zögernden Hephaistos auf, sich mit Schwung der Sache anzunehmen und das Gebot des Vaters umzusetzen. Der Leib des Frevlers soll an der steilen Felsenklippe festgeschmiedet werden. Niemand soll das stählerne Band durchtrennen können, deshalb muss solide Arbeit geleistet werden. Kratos hetzt den Gott der Schmiedekunst gegen den Gefangenen auf. Das Feuer habe er aus seiner Schmiede gestohlen, um es den Menschen zu bringen. Es geschah heimlich, weil er die Erlaubnis vom Göttervater nicht bekommen hätte. Jetzt muss er dafür büßen, denn er hat nicht gelernt, vor dem Thron des Zeus sein Knie zu beugen.

Hephaistos erinnert sich der verwandtschaftlichen Bande, die ihn an Prometheus fesselt, und wagt daher nicht, Hand an ihn zu legen. Er möchte ihn in der sturmumbrausten Schlucht keinem schlimmen Schicksal ausliefern. Doch er weiß auch, dass mit Zeus nicht zu spaßen ist. Gezwungenermaßen gehorcht er dem Befehl, den Helden in schwerste Ketten an den Fels zu schmieden. Niemand wird den Verurteilten hier erblicken und keiner wird ihn hören. Die grellen Sonnenflammen werden seine Haut verdorren, bis die langersehnte Sternennacht das Tageslicht verhüllt. Lange wird er warten müssen, bis ihm ein Befreier geboren wird. Das sind nun die Früchte seiner Menschlichkeit, denn jetzt kann er den Schrecken dieser Berge hüten. Das Knie wird ungebeugt sein, aber unzählige Klagen wird er stöhnen. Doch das Herz des Zeus wird er nicht erweichen.

Kratos mahnt, seine Zeit nicht mit nutzlosem Jammern zu verbringen. Doch schwer wiegt bei Hephaistos die Freundschaft und schwer verwandtes Blut. Aber noch schwerer würde der Ungehorsam gegen des Göttervaters Wort wiegen. Nie sollte es dazu kommen! Wie kann Kratos nur ohne jede Scham so grausam sein! Mitleid hilft nicht weiter, deshalb sollte er daran keine Mühe verschwenden. Hephaistos verwünscht seiner Hände Kunstfertigkeit. Er soll sie nicht verleugnen, denn sie sind an dem Unheil vollkommen schuldlos. Freiheit kennt nur Zeus und die anderen Götterfürsten müssen sich weitgehend nach ihm richten. Gut, der Kunstschmied hat es gelernt und wird nicht länger widersprechen. Dann soll er dem Gefangen die Ketten schnell umwerfen, damit der Vater ihn nicht säumig trifft.

Mit dem Armschmuck soll Hephaistos beginnen und den Hammer mit voller Kraft schwingen, wenn er den Frevler an den Felsen nagelt. Tatsächlich, der Arm liegt unverrückbar fest. Nun kommt die andere Zwinge an die Reihe. Der Schlaukopf überrumpelt Zeus kein zweites Mal mehr. Ohne Tadel, die Klammer sitzt perfekt. Kratos weiß sich auszudrücken. Des Eisenkeils wilder Biss durchdringt die Brust mit Macht bis zum Fels. Hephaistos versäumt nicht, den armen Prometheus zu beklagen Der Hämmernde soll kein Mitleid empfinden, damit er nicht nachträglich Ursache hat, sich selbst zu bedauern. Es ist ein Schauspiel, welches kein Auge schauen mag! Unsinn, der Mann verdient den Lohn, den er bekommt. Jetzt soll Hephaistos ihm den Eisengurt um den Leib legen. Kratos möge bitte nicht drängen, seine Arbeit kann er auch ohne ständige Beratung ausführen. Kratos überhört den Vorwurf. Jetzt kommen die Knie an die Reihe, um sie an den Felsen zu schmieden, anschließend muss das Eisen noch durch den Fuß gebohrt werden. Es macht nichts, wenn Hephaistos seinen rauen Laut des Behagens kritisiert. Mit Bewunderung schaut er auf das gelungene Werk. Ihn stört es nicht, wenn der Ausführende sanft bleibt, deshalb soll er seinen kecken Mut aber nicht schmähen und auch nicht seinen rauen Geist.

Die handwerkliche Arbeit ist verrichtet und der Leib verklammert. Kratos hat für Prometheus noch ein paar höhnische Worte zum Abschied. All zu sehr hat er sich um das Wohlergehen anderer gekümmert; jetzt braucht er selbst jemanden, der für ihn sorgt und ihn aus dem Schmiedewerk herauszieht.

2. Heiliger Äther, leichtbeschwingte Luft

Nun ist Prometheus allein und findet endlich Zeit, sich und die Ursachen seiner Gefangenschaft zu beklagen. Der heilige Äther, die leichtbeschwingte Luft, die Quellen der Ströme, der tausendfache Glanz der Meeresflut und die Allmutter Erde sollen erkennen, was ein Gott von anderen Göttern zu erleiden hat. Schmähliche Ketten und grausame Misshandlung für alle Zeit muss er erleiden. Der Not wird niemals ein Ende gesetzt. Verborgenes Leid kann ihn nicht mehr treffen, sein Schicksal liegt offen vor ihm. Er weiß, dass er keine Wahl hat, doch muss er deshalb sein Los ohne Klage hinnehmen? Den Sterblichen brachte er das Geschenk des Himmels und deshalb muss er nun leiden. Den Feuerfunken übergab er ihnen, der ihnen der größte Helfer und zum Lehrer hoher Kunst wurde. Zur Strafe für dieses angebliche Unrecht ist er nun an den Fels gepflockt.

3. Horch, horch!

Prometheus hat das Gespür, dass Besuch naht. Ob es Götter oder Menschen sind, vermag er nicht zu sagen. Die Ankömmlinge nähern sich durch die Luft, denn er verspürt den Hauch von Flügelschlägen. Kommt etwa jemand zum Fels, um sein Leid zu schauen? Will der Besucher einen Unglücksgott, den Feind des Zeus, in Ketten sehen? Die Menschen hat er allzu sehr geliebt, deshalb ist er den Göttern zur Abscheu geworden. Das leichte Schlagen von Flügeln vernimmt er, das Geräusch von Vögeln ortet er. Was immer es auch sein mag, was angeflogen kommt – er fürchtet es.

Es ist ein Schwarm weiblicher Okeaniden, die ihm einen Besuch abstatten. Ihren geflügelten Wagen haben sie am Fuß des Hügels abgestellt. Der Geschundene soll nichts Arges fürchten, denn sie seien die Töchter des Okeanos und der Thetys und besäßen einen angenehmen Charakter. Mit ihren Flügeln seien sie den Fels hochgerudert, einige freundliche Winde hätten sie dabei unterstützt. Die wuchtigen Hammerschläge des Hephaistos seien durch die Stille gedrungen und die machtvolle Musik, die Carl Orff dazu gemacht habe, sei nicht zu überhören gewesen. Das Echo des stählernen Hammers sei in ihren Grotten widergehallt und habe alle Mädchenscheu verbannt.

Schaut an, der Thetys kinderreiche Schar kommt ihn besuchen. Die Töchter des Okeanos, die ruhelos den Erdball umschwirren, sollen sich einmal anschauen, wie grausam man ihn behandelt habe. Durch den Schleier ihrer Tränen können sie es erkennen. Neue Herren sitzen jetzt hoch auf dem Olymp und sprechen Recht nach ungewohnter Art. Das Mitgefühl tut dem Angeschmiedeten gut. Nun hat er endlich jemanden, der auf seiner Seite steht. Hätte Zeus ihn nicht genau so gut in den tiefen Hades verbannen können, fragt er seine wohlwollenden Besucher, als ihn hier in die grenzenlose Einsamkeit zu verbannen, in der wilde Stürme ständig an ihm zu rütteln. Die Mädchen bestätigen dem Bedauernswerten, dass es niemanden gibt, der kein Mitleid mit seiner Qual empfinden würde.

Prometheus erklärt den Wellentöchtern, dass sich Zeus eines Tages auf ihn besinnen werde. Er wisse nämlich von einem Plan, der darauf abziele, Zeus das Zepter wieder zu entwinden. Bevor der Olympier ihn nicht losbindet und für den erwiesenen Schimpf Sühne leiste, erfahre der oberste der Götter von ihm nichts. Mit seinem Honiglied wird seine Zunge ihn nicht berücken können. Erst dann, wenn er bettelt, erhält er Information.

Ganz ernst nehmen die Okeaniden den Euphorischen nicht, doch sie bleiben höflich und schmeicheln ein bisschen, um ihn nicht in Mutlosigkeit versinken zu lassen. Selbst in bitterer Not bleibe Prometheus kühn und führe seine Zunge frei. Doch die Okeaniden haben Angst um sein kommendes Los, weil es für ihn keinen sicheren Hafen gibt. Eisern bleibt der Sinn des Zeus, denn sein Herz hat noch keiner beredet. Ganz so uneinsichtig schätzt Prometheus den Olympier nicht ein, doch Sanftmut wird er erst lernen, wenn Gefahr ihn zermürbt; der unerbittliche Zorn wird dann schmelzen und die Hand zum Freundschaftsbund wird der Bedrängte ihm reichen, denkt Prometheus.

Die erste Chorführerin fordert den Gestürzten nun auf, ausführlich über die Dinge zu berichten, die er angeblich verschuldet haben soll. Die Neugierige möchte gern wissen, weshalb er solch bitterer Schmach unterworfen wurde, aber er soll bitte keine schweren Wunden aufreißen. Prometheus ist glücklich, dass er in seiner Einsamkeit Zuhörerschaft gefunden hat und holt mit seinem Report weit aus.
Ach, das Reden wie das Schweigen erwecken in ihm gleichermaßen Schmerz, nirgendwo hin kann er entfliehen. Also, der Ablauf war folgendermaßen: Die Zwietracht im Götterreich war allgemein, die eine Gruppe wollte Zeus auf den olympischen Thron erheben und eine andere war dagegen. Seine Mutter Themis teilte mit ihm die Ansicht, dass Zeus durch kluges Denken die Herrschaft gewinnen würde, denn nicht allein die bloße Kraft, sondern die List verschaffe die Übermacht. Doch sein wilder Sinn verwarf diesen Rat. Dabei war der kluge Rat der Mutter allgemein hoch angesehen. Zusammen mit ihr wollte er Zeus in seinem Herrschaftsanspruch bestärken und ihm helfen, wie ein Freund dem Freund hilft. Deshalb hatte er ihm auch den Rat gegeben, den greisen Kronos in den Tartaros zu werfen, doch mit Ketten hat er es ihm gelohnt. Offenbar ist es der Tyrannen Art, den eigenen Freunden nicht zu vertrauen. Aber nun will er zum Thema kommen und erklären, weshalb gerade er so schwer misshandelt wurde.

Sobald Zeus den Thron des Vaters bestieg, teilte er an die Götter Ehren und Ämter aus, aber für die armen Menschen tat er nichts. Er beschloss, sie sogar auszurotten und durch ein anderes Geschlecht zu ersetzen. Kein anderer trat dagegen auf, sondern nur er allein. Prometheus war der Ansicht, man müsse zuerst versuchen, zu reparieren, bevor man an die Vernichtung denkt. Eigenmächtig machte sich ans Werk und brachte den Menschen den göttlichen Funken. Ludwig van Beethoven habe zu späteren Zeiten in einem Ballett sein Vorhaben wunderbar erklärt. Apollo habe ihm tatkräftig zur Seite gestanden, doch der Musenfreund lässt ihn jetzt schnöde im Stich. Zeus wertete seine Tat als Einmischung in seinen Herrschaftsbereich und reagierte bitterböse. Das Resultat sehen die beschwingten Töchter der Wellen und der Lüfte nun vor sich. Die dritte Chorführerin nimmt sich seiner besonders an. Jeder, der seine Leiden nicht teilt, dessen Herz sei aus Stein gemacht. Ihr eigenes zerreißt es und sie wünschte sich, dass ihr sein Anblick erspart geblieben wäre. Aber war das alles, was Prometheus Schlimmes verübt hat. Nein, er nahm den Menschen die Todesangst. Mit welchem Kraut hat er diese besiegt? Er impfte ihnen blinde Hoffnung ein. Dann hat er ihnen noch die Feuersglut gebracht und sie die Handwerkskunst gelehrt. Also deshalb hat Zeus ihn so schwer verklagt, stellt die dritte Chorführerin fest, und schwer misshandelt, ergänzt der Gefolterte. Seinem Leiden sei kein Ende gesetzt. Die erste Chorführerin geht weniger sanftmütig mit ihm um. Dann weiß er also, was er angerichtet hat. Einsicht sei der Weg, seinen Kummer zu lindern. Ausführungen zur Sache möge er ihr bitte ersparen, die Worte schmerzen und seien ungesagt.

Natürlich weiß Prometheus, dass er gefrevelt hat, aber die Strafe hatte er sich nicht so hart vorgestellt. Schmachten an einem Felsenriff an einem menschenleeren öden Ort ist der Zumutung zuviel. Die Menschenhilfe war sein Fehler. Der ersten Chorführerin falle das Abmahnen leicht, denn sie habe den Fuß nicht in der Schlinge. Doch die nackten Mädchen sollen ihn nicht verlassen, sondern mit ihrer Geselligkeit seinen Aufenthalt in einsamer Höhe ein bisschen angenehm gestalten. Tanzen kann er nicht mit ihnen, denn er ist angekettet und in der Brust sitzt ein Pflock.

Doch schon kommt neuer Besuch. Es ist Okeanos selbst auf seinem Flügelross.

4. So bin ich am Ende

Das kluge Tier hat dem Weg zum leidgeprüften Prometheus gefunden, ohne dass seine Zügel gelenkt wurden. Das Leid, welches der Beherrscher des Ozeans mit dem lieben Verwandten fühlt, ist tief empfunden. Er kann ihm das ruhig glauben, denn leeres Schmeicheln liegt seinem Mund fern. Wie kann Okeanos helfen? Einen treueren Freund als ihn wird er schwerlich irgendwo finden.

Was sieht Prometheus? Noch jemand, der sein Leid bestaunen will! Wie konnte er das sichere Gewässer, welches seinen Namen trägt, verlassen und zum Schloss der Eisenadern fliegen? Hat er etwa im Sinn, voller Mitleid auf Prometheus' Qualen zu schauen? Dann soll er sich das Schauspiel anschauen und zwar von demjenigen, der dem Zeus beim Aufbau seiner Macht helfen wollte und der sich nun, in ein qualvolles Joch gepresst, wiederfindet.

Okeanos sieht, dass Prometheus in arger Klemme steckt. Mit gutem Rat, wird er versuchen, ihm sein Schicksal begreiflich zu machen. Er soll erkennen, dass ein neuer Gott die Welt regiert und neues Denken erforderlich ist. Die wilden, harten Reden, die er in seinem Zorn führt, vernimmt Zeus alle auf seinem hohen Thron. Das, was sich heute an Qual vor ihm auftürmt, wird ihm bald als Kinderspiel erscheinen, wenn es ihm nicht gelingt, seine Wut zu begraben und er nichts unternimmt, der Not zu entrinnen. Nichts wird es ihm bringen, wenn er allzu steil die Zunge führt. Er sei nicht bereit sich zu beugen und denke nicht daran, dem Unheil auszuweichen. Wenn er seinen Hals dem Stachel entgegenreckt, wird er immer neues Unheil auf sein Haupt laden. Okeanos beabsichtigt nun, Zeus einen Besuch abzustatten, um zu versuchen, bei dem Herrscher, welcher ungehemmt regiert, das Ende seiner Qualen zu erreichen. Aber zwischenzeitlich soll er sein loses Mundwerk zähmen. Sagt seine Klugheit ihm nicht, dass seine Zunge ihm ständig Schaden bringt?

Prometheus macht deutlich, dass er von seinem Gegenüber keine besonders gute Meinung hat. Er hält ihn für einen Schwätzer, der sich intelligenter dünkt, als er ist. Er traut ihm nicht zu, dass er Zeus überreden kann und mahnt, dass er selbst bald bereuen könne, was er sagt. Viele Genossen hat Prometheus schon zur Vernunft gebracht, nur bei sich selbst schaffe er es nicht. Okeanos möchte schwören, dass es ihm gelingen wird, Zeus zur Milde stimmen zu können. Er soll sich keine Mühe geben, weil er nichts erreichen wird. Am liebsten wäre ihm sogar, wenn er sich untätig aus dem Spiel zurückzöge, damit nicht auch andere in den Strudel der Ereignisse hineingezogen werden. Ausweitungen möchte Prometheus vermeiden, auch wenn er selbst unendlich leidet. Okeanos möge doch reflektieren, wie übel es anderen ergangen ist. Sein Bruder Atlas steht am Abendtor und trägt die Last des Erdballs und das Firmament auf seinen Schultern. Typhon, das Höhlenungetüm, liegt unter dem Ätna begraben. Höllenfeuer hatte er aus den Augen geschossen und aus vollen Wangen seine Wut auf den Aggressor geschleudert. Erhebliche Probleme schuf er Zeus, bis er ihn mit seinem Donnerkeil erledigen konnte. Hin und wieder macht sich Typhon bemerkbar, denn wenn er schnaubt, bricht jedes mal der Ätna aus.

Die beiden streiten noch ein bisschen und dreschen leeres Stroh, bis Okeanos mit seinem Flügelross verärgert davonbraust, weil ihm eine Vermittlerrolle nicht zugetraut wird und Prometheus nicht einmal bereit ist, seinen guten Willen zu honorieren.

5. Sieh, wie wir dein Unheillos

Prometheus ergießt sich weiterhin in Selbstmitleid und zählt die Wohltaten auf, die er anderen erwiesen hat. Die Okeaniden bezeugen ihre Anteilnahme. Ganz für den Angeketteten eingenommen, entströmen Tränenfluten ihren Augen und netzen ihre zarten Wangen. Bei der Vervollständigung seiner Geschichten helfen ihm die Mädchen nach bestem Wissen, wenn seinem Gedächtnis einige Wohltaten entfallen sind. Die Eilfertigen bestätigen seine Kunstfertigkeit und seinen guten Willen, ausschließlich zum Nutzen anderer gedacht und gehandelt zu haben. Das Herz hat er sich zermartert, wie er Weisheit unter die Menschen bringen kann. Das Fahrzeug mit dem Flügeltuch hat er sich ausgedacht und spielt dabei auf den Schiffbau an. Der Wagen, den das zügelfrohe Pferd zieht, stammt von ihm, zum Auto hat es leider nicht gereicht. Die Mädchen sollen bewundernd zuhören, wie er der Medizin zum Sieg verholfen und wie er der Kunst den Weg gewiesen hat. Ein wahrer Prachtkerl war dieser Prometheus, bevor Zeus seinem Tatendrang ein abruptes Ende gesetzt hat. Selbst das Konzertpublikum wird nicht umhinkommen, seine überragenden Fähigkeiten zu bewundern und zu loben. Gewiss wird er eines Tages zum Rang des Zeus emporsteigen, wenn er erst einmal die schweren Ketten los ist. Die Schicksalsgöttinnen haben ihm allerdings geweissagt, dass seine List hierzu nicht ausreicht und er vor dieser schwierigen Aufgabe kapitulieren wird. Dem aufopferungsvollen Helden ließen die Moiren in die Zukunft blicken, weil er wissen wollte, ob Zeus seine Herrschaft behalten darf. Doch darüber will er zu den Mädchen nichts sagen, denn nur wenn er das Geheimnis wahrt, kann er den Ketten und der Schmach entrinnen, allerdings wird er dann von tausendfacher Qual zermürbt sein... Da Aischylos kein Ende findet, leitet dieser Report jetzt zum nächsten Thema über.

6. Welches Land? Welcher Stamm?

Prometheus bekommt schon wieder Besuch. Diesmal ist es eine wunderschöne weiße Kuh, die allerdings mit ihren Gedanken ziemlich durcheinander ist. Auch sie hat vieles durchmachen müssen, denn sie war nicht immer Kuh, sondern hatte ursprünglich menschliche Gestalt. Io, die Tochter des Flussgottes Inachos, war die Geliebte des Zeus. Das intime Verhältnis wurde von Hera entdeckt, und um sie vor ihrem Zugriff zu schützen, verwandelte Zeus sie in ein Rindvieh. Die gewitzte Hera veranlasste den Gemahl, ihr das auffallend hübsche Exemplar zu schenken und lässt ihren neuen Besitz durch den Riesen mit Argus bewachen. Zeus lässt die Geliebte nicht im Stich, sondern schickt seinen beflissenen Hermes los, der durch sein Flötenspiel den Argos zum Einschlafen bringen soll, damit die Kuh flüchten kann. Szenische Darbietungen der heutigen Zeit offerieren kein Flötenspiel mehr, sondern wählen eines der beiden Streichquartette von Smetana, damit der hundertäugige Riese noch schneller zur Ruhe kommt. Io kann tatsächlich entfliehen, kommt aber nicht weit, denn Hera hat ihre Augen auch überall. Sie setzt eine Rinderassel auf die schöne Kuh an, deren unablässiger Stich und ständiges Summen die Tochter des Flussgottes zum Wahnsinn treibt. Die Gehetzte überquert, ohne auf den Weg zu achten, den Bosporus, rennt durch Ägypten und Palästina, hat zwischendurch Zeit, den Epaphos zu gebären, und ist nun im Kaukasus angelangt, um bei ihrem Leidensgefährten Prometheus einen kleinen Stopp einzulegen. Allerdings hat sie keine Ahnung, wer da am Felsen hängt und muss ihre Wissenslücke erst einmal schließen. Anschließend jammern beide im Duett. Welche schwere Schuld büßt er ab, will sie wissen. Er möge doch bitte aus dem Born seiner Weisheit schöpfen und ihr erzählen, was die Zukunft ihr bringen wird. Oh, es kann alles nur noch schlimmer werden. Die bedauernswerte Io, von der Rinderassel ständig geplagt, stürzt verzweifelt davon. Zuvor hat Prometheus die Geschichte von den fünfzig Danaïden-Töchtern noch anklingen lassen, die in der Hochzeitsnacht ihre fünfzig Männer umbringen sollten – einer hat das Attentat überlebt. Was Prometheus aber nicht wusste, ist, dass die Menschen später das Ionische Meer nach der unglücklichen Flussnymphe benennen würden.

7. Weise, ja weise

Die in diesem Abschnitt vorkommende Erzählung ist total verworren. Es ist nicht zu enträtseln, was der einleitende Chor eigentlich erzählen will. Prometheus kündet, dass Zeus eine neue Ehe schließen wird, die ihn ins Unglück stürzt, damit der Schwur seines Vaters Kronos sich erfülle. Der Alleswisser bildet sich ein, dass nur er allein den Ausweg kennt. Sein Wunschdenken vermittelt ihm, dass Zeus noch mehr leiden wird als er selbst, doch die Chorführerinnen signalisieren ihm, dass der oberste Olympier zuvor die Leiden seines Gefangenen noch verdoppeln werde. Möglicherweise spielen sie auf den schwarzen Adler des Zeus an, der sich auf ihn stürzen und unablässig an seinem Körper nagen wird, weil er einen Heißhunger auf Leber hat.

8. Da sehe ich schon den Läufer

Jetzt kommt Hermes. Harsch im Ton will er den Unsinn erklärt haben, den Prometheus dauernd redet. Den allzu Schlauen, den Unleidlichen, den Feuerdieb geht er an, damit er sich einmal konkret dazu äußert, was er den Okeaniden ständig andeutet. Der Vater möchte wissen, welche Ehe das sein soll, die er schließen werde, um damit den Untergang zu besiegeln. Ohne neue Rätsel aufzugeben, soll er sich erklären, weil Hermes den Weg hierher nicht noch einmal machen möchte. Des Prometheus Allüren seien nicht geneigt, den Göttervater zu besänftigen, deshalb solle er sich überlegen, was er sagt.

Prometheus beschimpft Hermes als des Weltenherrschers Botenknecht. Großmäulig und voller Dünkel sei sein Wort, so wie es zu ihm passe. Die neuen Herrscher glauben, sie säßen in sicheren Burgen. Zwei Regierende sah Prometheus schon kurzfristig enden, schlimmer noch wird es dem dritten ergehen. Nichts wird Hermes von ihm erfahren, er solle schleunigst wieder verschwinden. Bildet er sich etwa ein, Prometheus würde vor den neuen Herrschern zittern?

Hermes bleibt gelassen. Mit solchen stolzen Reden habe er sich die Qualen zugefügt, die er momentan erleidet. Nimmer, sagt Prometheus, würde er sein schweres Unglück mit der Tätigkeit eines Boten vertauschen. Hermes will ganz vernünftig mit dem Gefesselten reden, stößt aber nur auf Arroganz und Ablehnung wie zuvor Okeanos auch. Der Götterbote sagt ihm klar, dass sein Geist zerrüttet sei und er ohne Rücksichtnahme auf sein Unglück kaum zu ertragen wäre. Möchte er nun die Frage des Vaters beantworten? „Weshalb? Ist Prometheus etwa ein Schuldner, der bezahlen muss?“ Hermes warnt, dass er kein Kind sei, mit dem man spielen kann.

Prometheus platzt vor Hochmut aus allen Nähten. Hermes sei ein Kind, sonst würde er nicht versuchen, eine Antwort von ihm zu holen. Mit keiner Folter und keiner List wird es Zeus gelingen, ihn dazu zu bringen, ihm Information abzuringen, die er nicht geben will, bevor ihm nicht die Ketten abgenommen werden. Ob Zeus nun einen grellen Blitz niederfahren lässt, ob er ihm mit Schneegewirbel kommt oder mit Erdgedröhn oder die ganze Welt erzittern lässt, nichts wird ihn beugen, ihm zu verraten, welche Hand seinen Thron zum Einstürzen bringen wird. Prometheus möge bedenken, ob sein Trotz sein Helfer sein wird. Der Gemaßregelte entgegnet, alles bedacht zu haben. Der Tor soll sich entschließen, rät Hermes und seinen Geist nach seinem Leid einstellen.
Hermes agiert im Prinzip vortrefflich. Seine Entgegnung wollen wir als Zitat einbinden, damit der Konzertbesucher sich auch an der vorzüglichen deutschen Übersetzung des Aischylos-Textes erfreuen kann:

„Ich sehe, ich rede lange und umsonst,
Denn keine Bitte rührt den harten Sinn.
Das wilde Fohlen beißt in sein Geschirr
Und rast und bäumt sich gegen jeden Strang.
Doch tobst du ohne sicheren Untergrund.
Der Trotz des Mannes, der nicht bei Sinnen ist,
Hat in sich selber kein Gewicht.
Bedenke, wenn du meinen Worten nicht folgst,
Wie schwerer Sturm, wie wilde Leidensflut
Dich schüttelt. Denn der Vater wird zuerst
Die wilde Schlucht zerreißen mit dem Blitz
Und Feuerstrahl begräbt dann deinen Leib,
Den immer noch der Fels umklammert hält!
Nach langer, langer Zeit kehrst du zurück
Zum Licht, wo der beschwingte Hund des Zeus,
Der Adler, der rot vom Blut, einen großen Teil
Des Leibes gierig dir entreißen wird:
Ein ungebetener tagelanger Gast
Holt er die dunkle Leber sich zum Fraß.
Erwarte nie ein Ende dieser Qual,
Bevor ein Gott als Erbe deines Leids
Freiwillig in den dunklen Hades zieht,
in die schwarze Kluft des Tartaros.
Danach beschließe! Denn kein falscher Lärm
Ist dieses klipp und klar gesagte Wort.
Kein Lügenwort entflieht dem Mund des Zeus,
Ein jedes wird erfüllt. So sie dich vor
Und überlege es, dass du wilden Mut
Nicht höher stellst als wohl berat'nen Sinn.“

Die Okeaniden raten dem Störrischen, dem klugen Wort des Hermes zu folgen, doch Prometheus traut dem Wort des Boten nicht. Er führt an, es sei allgemein bekannt, dass der Feind vom Feind das Schlimmste zu befürchten habe. Da er unsterblich sei, könne nichts ihn vernichten. Wenn es Zeus gefalle, solle er ihn kopfüber in den Tartaros stürzen oder was ihm sonst in den Sinn komme. Hermes sieht keinen Sinn mehr, den Gedanken und Reden eines vom Wahn geschlagenen Geistes zuzuhören, weil auch die Zeit keine Besserung bringen würde. Er rät den Chorführerinnen, vom Rande des Felsen zurückzutreten und die Leiden des Unbelehrbaren nicht länger zu beweinen. Die Chorführerinnen sind inzwischen genau so verbohrt und wollen lieber zusammen mit ihrem Idol untergehen, als zu weichen. Hat Hermes keinen anderen Rat? Nein, hat er nicht, und ihm sollen sie nicht die Schuld geben, wenn das Schicksal des Untergangs auch sie ereilt. Hermes betrachtet seine Aufgabe als erledigt.

9. Nun wankt sie

Mit seinem Donnerkeil schleudert Zeus den Felsen mit dem Gefesselten und den sich anklammernden Okeaniden unter dem Gebrüll der Elemente in den Abgrund. Doch das letzte Wort konnte der Weltenbeherrscher dem Unglücksraben nicht nehmen: „Seht her, welches Unrecht ich erleide!“


Letzte Änderung am 12.6.2008
Beitrag von Engelbert Hellen