Der verlorene Sohn
Entstehungszeit: | 1663 ? |
Uraufführung: | 1663 in Wien |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Art: | Oratorium in zwei Teilen nach dem Lukas-Evangelium (Kapitel 15) |
Libretto: | Pietro Monesio |
Sprache: | italienisch |
Zwei falsche Freunde entschließen sich, endlich Abschied zu nehmen von Trübsal und Langeweile. Es fehlt nur das nötige Kleingeld, um ein angenehmes Leben in angenehmer Gesellschaft führen zu können. Deshalb bedrängen sie ihren jungen Gönner, allen Knaben ein Vorbild zu sein, dem Vaterhaus den Rücken zu kehren und mitzukommen in die verlockende weite Welt. Ihre Weisheit ist, wer mit Gold sich pflastert, der bewegt sich leicht bergauf! Gold ist reichlich vorhanden, doch es befindet sich in den falschen Händen. Was soll der Vater mit seinen Schätzen anfangen, wenn er doch viel zu alt ist, um sich nach Freiheit und Lustbarkeit zu sehnen? Seinen Kopf mit den weißen Zotteln kann er mit einer Mütze bedecken!
Solche freundlichen Lehren sind Honig in den Ohren des Umworbenen. Nicht länger will er untertänig sein und die Herden des Vaters hüten. Noch heute wird er ihn aufsuchen, um seinen Entschluss zu verkünden. Aus seinem Überfluss soll er den Erbanteil vorzeitig auszahlen, in Münzen und Gold, so gut er kann.
Es kommt zum Dialog zwischen Vater und Sohn. Zunächst gibt es eine Abfuhr: Der liederliche Anblick und die nachlässig Kleidung erregt den Unmut des Alten und betrübt sein Herz. Der Jüngere weiß genau, dass er mit seinem Ersuchen nicht unbedingt auf Wohlwollen stoßen wird und bittet „dem unziemlichen Begehren eines trotzigen Sohnes“ freundlich und geduldig zuzuhören. Verlassen will er Heimat und Familie und auf fremden Wegen irren. Der Entschluss sei gefasst, und damit es ihm unterwegs nicht schlecht gehe, bittet er um Auszahlung seines Erbteils. Sehnsucht treibe ihn in die Welt und nach dem Fernsten will er streben. Kindisch ist der Gedanke und das Hirn verblendet, so sieht es der Alte. Angenehm sei die Versuchung und die irdischen Freuden locken hinaus aufs Meer des Lebens. Sie verheißen gute Fahrt und glatte Wellen, und dann kommt der Sturm des Lebens und lässt das Schiff zerschellen.
Jetzt will er die Frühlingsfeste feiern, und nicht wenn tausend Falten seine Wangen zieren, reagiert der Gemaßregelte und appelliert, ihm das Glück zu gönnen, was die Jugend spendet. Und wie stellt der Ungestüme sich das Glück vor? Auf den Feldern des Krieges wird bald sein Schwert vor allen anderen leuchten und im Kampfgetümmel weithin sichtbar, will er sein Haupt aufrecken. Vom Helm mit dem leuchtenden Federbusch und von der Brust im goldenen Harnisch prahlt er. Rasch wird er die feindlichen Streiter besiegen und den unsterblichen Lorbeer mit dem Schweiß des Siegers benetzen.
Der Vater antwortet aus Erfahrung: Niemand kennt den Sieger, ehe die Schlacht geschlagen. Wie kann jemand, der völlig ungeübt ist, den Kampf bestehen und dem Tod entrinnen? Ruhmlos und ohne Sieg wird er auf dem Schlachtfeld verderben, durchbohrt von Pfeilen oder verbrannt von siedendem Blei. Der Sohn zieht andere Möglichkeiten in Betracht: Siege sind ihm nicht so wichtig, an den Höfen der Fürsten will er sein Glück suchen. Auch diesmal weiß der Vater es besser: „Der Thron des Herrschers steht auf glühendem Feuer, in Flammen endet dort das Abenteuer. Wer sich zum Glanz hinwendet, der wird gar oft durch Russ und Rauch geblendet.“ Die spitze Antwort: Wenn alles schief läuft, kann er sich immer noch an den Rat des Vaters halten. Dieser vertritt die Auffassung, dass die Schellen an der Kappe des Narren diesem zur Ehre gereichen. Unsterblichen Ehren bekommt nur der Gottesfürchtige.
Der Entschluss des Jungen, unterstützt durch seine Freunde, steht fest, aber der Alte gibt nicht auf und macht seine Töchter mobil: „Kommt, kommt ihr meine Töchter, umklammert euren Bruder, der uns verlassen und voll Ungeduld den Staub der Heimat von den Schuhen abschütteln will. Lasst eure Tränen fließen und werft euch ihm zu Füßen und umschließet seine Knie!“ Die Töchter handeln wie geboten, doch der gramgebeugte Vater, die weinenden Schwestern, nichts kann den Rastlosen zurückhalten. Der ältere Bruder soll sich in seiner Abwesenheit allein um den Vater und die häuslichen Angelegenheiten kümmern. Mit den Freunden feiert der „verlorene Sohn“ den Aufbruch in eine verheißungsvolle Zukunft.
Zeit ist ins Land gegangen. Man feiert Erntefest. Vater, Bruder und die Schwestern sitzen im Innenhof in heiterem Kreise und laben sich an köstlicher Speise. Die Krüge werden mit goldenem Wein gefüllt. Zunächst von niemandem bemerkt, liegt ein Fremder vor der Tür. Dieser, jammert steinerweichend: „Ein Abbild allen Elends im Bettelkleid des Unglücks, Beute und Schaustück aller unbeschreiblichen Leiden, die ich erduldet, so kehr ich endlich zurück zum Haus des Vaters... Meine Kumpane ließen mich als Bettler im Stich und als sie mich verstießen, verhöhnten sie mich.
Ach ich schlief den Schlaf des Kindes friedvoll einst auf weichem Bette, nun deckt mich der Hauch des Windes, Staub ist meine Lagerstätte... Solche Drangsal habe ich zurecht erduldet. Durch meinen Hochmut habe ich sie verschuldet. Ach, ich habe meinen Vater und mit ihm den Himmel verraten und geschmäht, nun sterbe ich im Elend und die Reue kommt zu spät...“
Der Vater glaubt, eine ihm bekannte Stimme zu vernehmen und spitzt die Ohren. Ist er es wirklich, der geliebte Sohn, der die Familie verließ, verwirrten Sinnes? Er ist es wirklich und bittere Reue erfasst ihn. Mit der Sünde hat er gebuhlt und sich von seinen Lieben abgekehrt. Nun erkennt er seine Schuld und hegt freudige Erwartungen. Diese treffen auch ein. Das schönste Kälbchen wird geschlachtet, damit der Ausgehungerte sich gütlich tun kann. Die Schwestern jubeln, ihre Augenweide ist zurückgekehrt und nun lacht wieder das Glück. Von Überschwang weit entfernt ist der ältere Bruder, dem es nicht recht ist, dass der Ausreißer nun solchen Freudentaumel auslöst. Mit ihm, der immer alle Erwartungen erfüllt und brav seine Pflicht getan hat, ist ein solches Getue noch nie veranstaltet worden. Schließlich lässt er sich doch erweichen, will die angehobene Stimmung nicht verderben und reicht seinem jüngeren Bruder versöhnlich die Hand. Mit einem Lobpreis auf den Zorn und die Langmut Gottes endet das Oratorium.
Letzte Änderung am 30.4.2015
Beitrag von Engelbert Hellen