Entstehungszeit: | 1897, rev. 1901 und 1906 |
Uraufführung: | 2. Dezember 1900 in Kremsier (Kroměříž) |
Besetzung: | Soli (STB), gemischter Chor und Orchester |
Verlag: | Prag: Bärenreiter, 2000 |
Bemerkung: | Janáček fühlte sich von dem Gedicht Vrchlickŷs angezogen, weil er in seiner Kindheit selbst ein paar Jahre als Chorknabe im Augustinerkloster in Brünn (Brno) zugebracht hat. Somit war ihm die mystische und eigenwillige Atmosphäre eines Klosters bekannt und er konnte diese in seine Musik einbeziehen. „Amarus“ entstand während der Arbeiten an „Jenůfa“. Der Uraufführung war kein besonderer Erfolg beschieden, weil das Orchester der mährischen Kleinstadt die Partitur nicht optimal in Musik umsetzen könnte, obwohl Janáček selbst dirigierte. Chor und Solisten ließen ebenfalls zu wünschen übrig. Erst fünfzehn Jahre später unter Ferdinand Fach war der kleinen Kostbarkeit der verdiente Erfolg beschieden und gehört nun zu den am häufigsten gesungenen tschechischen Kantaten. |
Opus: | JW 3/6 |
Text: | Gedicht von Jaroslav Vrchlickŷ (1853-1912) |
Sprache: | tschechisch |
1
Er lebte stets im Kloster und hat keine Ahnung, wer seine Eltern waren. Man sagte ihm, er sei ein Findelkind und taufte ihn auf den Namen Amarus, was so viel bedeutet, wie der Bittere. Der Chor weiß alles ganz genau und meint, diesen Namen habe er der Sünde seiner Geburt zu verdanken.
2
Ein aufrechter Charakter ist er, aber stets traurig und in Gedanken versunken. Der silberne Mond, wenn er in die Zelle scheint, drückt auf sein Gemüt. Mitbrüder haben gehört, als er betete, dass Gott ihm sagen möge, wann das Ende seines Daseins gekommen sei. Allem Glück musste er entsagen, das Leben zieht ereignislos vorüber und er weiß nicht, auf was er noch warten soll.
Der Engel, der ihm erscheint, hält die Antwort bereit: Sollte er einmal vergessen, in der Altarlampe das Öl nachzufüllen, wäre das Vergehen so schwer, dass der Tod ihn unverzüglich holen würde. Der Chor plappert nach, was der Engel gesagt hat, damit das Mönchlein den Wortlaut nicht vergisst.
3
Tag und Jahr verfliegen und im Leben von Amarus ändert sich nichts. Niemals hat er vergessen, in der Ewigen Lampe das Öl aufzufüllen, denn er vergleicht das Ewige Licht mit seiner Seele und lächelt dazu traurig.
Der Frühling ist ins Land gezogen. Wie jeden Morgen versieht Amarus mit dem Ölkrug in der Hand seinen Dienst am Altar. Sein Weg führt ihn am Chorgestühl vorbei, dicht vor dem Gnadenbild der Jungfrau. Er hält den Atem an, denn er sieht ein Pärchen in Andacht versunken. Er verhält sich ruhig und wartet bis sie zu Ende gebetet haben. Er folgt den Liebenden auf den Klosterfriedhof. Ihn erfasst eine große unbekannte Sehnsucht. Der Weißdorn blüht und Fliederduft erfüllt die Luft. Ein Vogel zwitschert und ein Zitronenfalter schaukelt vor ihm her, als wolle er ihm einen Weg zeigen. Am Rande der Friedhofsmauer im dichten grünen Rasen sitzen die beiden selig vor Glück. Seinen Kopf hat er an ihren Busen geschmiegt. In ihre dichten schwarzen Haare fällt der Blütenstaub des Weißdorns. Tautropfen glitzern noch im Gras. Ein Vogelruf erklingt aus der Ferne.
In Bitterkeit gedenkt Amarus der Mutter. Ihr hat er Dank zu sagen für sein bitteres Leben.
4
Heute füllt Amarus die Ewige Lampe am Altar nicht mit Öl. Seine Hand bleibt unbeweglich. Die Nacht vergeht. Am Morgen kommen die Brüder, um zu beten. Doch das Licht der Altarlampe ist erloschen. Sie suchen nach Amarus und finden ihn tot auf dem Friedhof, das Gesicht dem Fliederbusch zugewandt. Aus der Ferne klingt der Ruf eines Vogels.
5
„Amarus, so hieß er“, bestätigt der Chor.
Letzte Änderung am 13.7.2013
Beitrag von Engelbert Hellen