Luigi Dallapiccola (1904-1975):

Canti di Prigionia

deutsch Gesänge aus der Gefangenschaft

Allgemeine Angaben zur Kantate

Widmung: 1. Gebet der Maria Stuart (molto lento): Paul Collaer vom 22. Juli 1939
2. Invokation des Boethius: (Prestissimo): Ernest Ansermet vom 14. Juli 1940
3. Abschied Savonarolas von der Welt: Sandra und Luisa Materassi vom 13. Oktober 1941
Entstehungszeit: 1938-41
Besetzung: gemischter Chor (Teil 1 und 3), Frauenchor (Teil 2), 2 Klaviere, Harfe und Schlagzeug
Verlag: Mailand: Carisch, 1971
Bemerkung: Leidenschaftlich bewegt oder andächtig verhalten befindet sich der Madrigalchor unentwegt im Einsatz. Das Schlagzeugensemble trägt dem Stimmungsgehalt der Texte Rechnung und verhält sich äußerst dezent. Dallapiccola ging es darum, eine Kantate der Besinnung zu schaffen und verzichtete auf eine aufdringliche Formensprache. Als Aufführungsort der Kantate eignet sich der Kirchenraum eher als der Konzertsaal.

Hintergrundinformation

Der Komposition der drei Gesänge aus dem Gefängnis liegt das Trauma eigenen Erlebens zugrunde. Die Turbulenzen des Zweiten Weltkrieges, überschattet von der Kooperation zwischen Hitler und Mussolini, griffen einschneidend in das Lebensschicksals Dallapiccolas ein und machten den Italiener aus Istrien, verheiratet mit einer Jüdin, zum Deportierten und Häftling. Dem Zugriff Hitlers konnte er sich nicht entziehen, weil Istrien damals den Status einer österreichisch-ungarischen Autonomie hatte. Im Gefängnis besann der Verzweifelte sich auf das Schicksal dreier historischer Persönlichkeiten, die unter ähnlichen Umständen zu Unrecht eingekerkert wurden und ihr Leben lassen mussten. Sie hofften bis zur letzten Stunde und suchten Kraft im Gebet. Staatliche Willkür im Namen der Religion bestimmten ihren Tod. Gefälschtes oder unglaubwürdiges Beweismaterial dienten einer theokratischen Scheinjustiz als Legitimation.

Zu einer Kantate in drei Teilen bündelte Dallapiccola das Erleben der letzten Stunden im Angesicht des Todes von Maria Stuart, Anicius Boethius und Girolamo Savonarola.

Die Erstgenannte vertrat in Opposition zu ihrer mächtigen Rivalin Elisabeth I. die katholische Sache und wurde wegen Verdächtigung eines angeblichen Mordkomplotts gegen die englische Königin auf das Schafott geschickt. Anicius Manlius Severinis Boethius, der geniale Philosoph und politische Denker zur Völkerwanderungszeit, stellte hohe sittliche und theologische Anforderungen an das Kirchenoperhaupt, die sich auf Regeln des Urchristentums stützten. Der Kanzler des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen geriet unglücklich in das Spannungsfeld der weströmischen und der byzantinischen Kirche, was ihm zum Verhängnis wurde. Savonarola scheiterte an seinen klerikalen Reformversuchen und zog sich den Hass des Papstes zu. Der Scheiterhaufen war nach Haft und Folter die Quittung.

Beschreibung

1. Prighiera du Maria Stuarda

O Domine Deus! Speravi in Te.
O care mi Jesu! Nunc libera me.
In dura catena, in misera poena, desidero Te.
Languendo, gemendo et genu flectendo,
Adoro, imploro, ut liberes me.

O Gott, mein Herr, auf Dich habe ich gehofft. O liebster Jesus, befreie mich. In harten Ketten, in schlimmem Leid ersehne ich dich. Klagend und auf Knien liegend, bitte und flehe ich, dass Du mich befreist.


2. Invocazione di Boezio

Felix qui potuit boni
Fontem visere lucidum
Felix qui potuit gravis
Terrae selvere vincula

Glücklich, der den klaren Quell des Guten erblicken konnte. Glücklich, der die Last der Fesseln, die ihn an die Erde ketten, sprengt.


3. Congedo di Girolamo Savanarola

Premat mundus, insurgat hostes, nihil timeo
Quoniam in Te Domine speravi,
Quoniam Tu es spes mea
Quoniam Tu altissimime posuisti refugium tuum.

Mag die Welt mich drängen, mag der Feind sich erheben, ich fürchte nichts. Da ich auf Dich o Gott meine Hoffnung gesetzt habe, da Du meine Hoffnung bist, da Du höchster Gott, deine Zuflucht bereit gestellt hast.


Letzte Änderung am 11.1.2008
Beitrag von Engelbert Hellen