Anlass: | als Beitrag zum Wettbewerb der Aachener Liedertafel (1863) gedacht, Brahms wurde jedoch nicht rechtzeitig fertig |
Entstehungszeit: | 1863-68 |
Uraufführung: | 28. Februar 1869 in Wien (Großer Redoutensaal) Tenor: Gustav Walter Chor: Akademischer Gesangverein Wien Orchester: Wiener Hofopernorchester (von Brahms dirigiert) |
Besetzung: | Tenor, Männerchor (TTBB) und Orchester (Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, 2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass) |
Erstdruck: | Berlin: Simrock, 1869 |
Verlag: | München: Musikproduktion Höflich, 2004 Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 1965 |
Bemerkung: | Johannes Brahms war es nicht vergönnt, eine Oper zu komponieren. Er beklagte, dass man ihm kein passendes Textbuch abgeboten habe. Die Kantate „Rinaldo“ kommt einer Opernszene nahe und lässt erahnen, dass die Komposition einer Oper mit einem Thema anderer Wahl gewiss ein Meisterwerk geworden wäre. Die Musikwelt von heute bedauert das Versäumnis. Armida verzauberte die Komponisten mehrerer Generationen. Bedeutende Opern, die sich mit dem Schicksal der orientalischen Magierin und ihrer Liebe zu Rinaldo beschäftigen, schufen die Komponisten Lully (1686), Händel (1711), Gluck (1777), Haydn (1784), Rossini(1817) und Dvořák (1903). Johann Wolfgang von Goethe hatte von Anfang an seine Dichtung zur Vertonung vorgesehen, in der eine „anmuthige Tenorstimme“ den Solopart übernehmen sollte. Er widmete die „Cantate Rinaldo“ 1811 dem Prinzen Friedrich von Gotha. Erst 1863 fand Johannes Brahms das Werk unter Goethes Nachlass. |
Opus: | op. 50 McCorkle Opus 50 |
CD: | [Details] |
Rinaldo-Kantate op.50 (Oehms, DDD, 2011) Johannes Brahms (1833-1897) »... Einspielungen der von Brahms im Jahre 1863 zunächst für einen Wettbewerb der Aachener Liedertafel vorgesehenen durchkomponierten Kantate ›Rinaldo‹ (nach einem Gedicht von Goethe) sind nach wie vor rar; (...) Der Live-Mitschnitt dieser rundum gelungenen Aufführung von den Salzburger Festspielen 2007 vermag die musikalischen Qualitäten ins rechte Licht zu rücken, und dies auch in einem zwar etwas kompakten, aber vollkommen adäquaten natürlichen Klang. ... nicht minder passend mutet die Studio-Akustik für Beethovens Sinfonie an, ... eine gute Mischung aus spielfreudiger Elastizität und präziser Artikulation, differenzierter Dynamik und interpretatorischer Flexibilität, ...« (FONO FORUM, November 2012) |
Text: | Johann Wolfgang von Goethe |
Sprache: | deutsch |
Der Chor treibt zur Eile an. Zum Strande soll die Ritterschar sich bewegen, um Armidas Zauberinsel so schnell wie möglich den Rücken zu kehren. Wer weiß, was die Heidin gegen sie aushecken wird, wenn sie sieht, wie ihr Ritter von dannen zieht? Dem Starken wird Gelegenheit geboten, sich zu bewähren! Damit das Schiff geschwind die Fahrrinne durchfurchen kann, sollen die Männer inbrünstig in die Rudern greifen, falls der Wind nicht günstig ist.
Einer unter ihnen hat keine Sehnsucht, die Ortschaft zu wechseln. Es ist Rinaldo. Einen Augenblick sollen die Gefährten ihn noch verweilen lassen. Der Betrübte versteift sich darauf, dass der Himmel nicht will, dass er jetzt schon scheiden soll. Der wüste Fels und die waldumwachsene Bucht halten ihn gefangen und hindern sein Herz, an Abreise zu denken. Was ist es, das ihn an diesem Ort noch hält? Rinaldo klärt die Ritterschaft auf: Sein einzig Glück hat er hier verloren. Die goldenen Tage des Paradieses sollen wiederhergestellt werden, wünscht er sich vom Schicksal. Nun beschreibt Rinaldo den Platz eingehend, der ihm so viel wert ist. Bunte, reich geschmückte Beete umzingeln einen Palast. Rosen knospen auf der Erde und in den Lüften blühen Bäume. Lieblich rauscht ein Wasserfall und mit der Turteltaube lockt gleichzeitig auch die Nachtigall.
Geheimrat von Goethe beschreibt die orientalische Kulisse und die Geheimnisse einer Zauberinsel so, wie man es sich im schönen Weimar vorstellt. Erklärend muss an dieser Stelle eingefügt werden, dass Rinaldo der Liebhaber der Zauberin Armida ist. Gottfried von Bouillon macht Einwände gegen die lustvolle Verbindung, weil er zu Recht befürchtet, dass die orientalische Buhlerin die Wehrkraft seiner Ritterschaft zersetzen könnte. In vollem Umfang berechtigt ist diese Meinung nicht, denn die Magierin liebt den blonden Ritter aus dem Abendland tatsächlich. Sie begehrt nur den schönen Rinaldo und nicht die ganze Mannschaft. Als Verlockung bedient sie sich ihrer Schönheit, zur Liebeslust bietet sie das passende Ambiente. Völlig klar, dass dem jungen Heißsporn das Paradies auf Erden gefällt und er höhere Ziele zeitweilig aus den Augen verliert. Ob das Gurren der Taube oder das Schlagen der Nachtigall es ihm angetan haben, darf getrost in Zweifel gezogen werden. Gottfried von Bouillon möchte nicht, dass die ritterliche Tugend auf der Strecke bleibt und mit einer Heidin der Minne gefrönt wird. Schließlich hat man im Heiligen Land Aufgaben zu erledigen, der christliche Glaube soll verbreitet und das Heilige Grab von den Ungläubigen befreit werden. Dies ist der Grund, weshalb der Führer des Kreuzzuges den Ausreißer Rinaldo durch seine Gefolgschaft wieder einfangen lässt. Rinaldo ist nicht der Einzige, der ehrvergessen ist, mit Tancredi und seiner Clorinda gab es gleichen Ärger. Der geneigte Leser möge diesen Einschub bitte verzeihen und als Hintergrundinformation werten. Goethes Kantate, kurz und bieder, kann leider nur einen bescheidenen Ausschnitt aus dem gewaltigen Epos von Tassos befreitem Jerusalem anbieten.
Der Ruf der Freunde soll den Abtrünnigen trösten, damit seine Wunden schneller heilen. Alle Reize, die Zauberei ihm schuf, soll Rinaldo vergessen und jetzt endlich an seine Berufung denken. Der Turteltaube Locken und das Wirbeln der Wasserflocken halten ihn aber nach wie vor in ihrem Bann. Mit dem Wirbeln nach dem Schall tönt zugleich die Nachtigall. Alles dünkt Rinaldo wertlos, wenn sie doch nur erscheinen würde in lieblicher Jugend und glänzender Pracht. Ihre Dienerinnen schlingen gern Kränze aus Lilien und Rosen und die lauen Lüfte verbreiten allerliebste Düfte.
Der Chor zeigt Besorgnis. Nein, nicht länger ist zu säumen, wecket ihn aus seinen Träumen! Den diamantenen Schild soll man ihm zeigen. Zum besseren Verständnis muss hier eingefügt werden, dass der Zauberschild, ein Geschenk Armidas, auch die Funktion eines Monitors ausübt. Ereignisse, die in angemessener Entfernung ablaufen, können vorgeführt werden. Was bekommt Rinaldo zu sehen? Der Chor formuliert, dass das Zauberbild den Trug entsiegelt. Bespiegelt sieht der Verzweifelte sich und erniedrigt. Die Geliebte neigt zum Vandalismus und alle können es sehen. Aus Ärger zerstört sie ihre schöne Wohnung. Wehe, er kann es überhaupt nicht fassen! Gewalttätigkeit bei Frauen mag Rinaldo überhaupt nicht! Endlich ist er nun bereit, der Geliebten endgültig zu entsagen und sich den Gefährten anzuschließen.
Die edlen Ritter befindet sich auf See, die östliche Mittelmeerküste ist in Reichweite. Zurück nur, zurück durch günstige Meere zur Tugend der Ahnen! Der Held bequemt sich, doch er kommt vom Trugbild nicht los. Selbst auf Distanz hat die Geliebte noch die Macht, den Ritter zu beherrschen. Schon zum zweiten Male sieht Rinaldo sie erscheinen und jammern und weinen. Wie umgewandelt zeigt die Holde sich, so hat er die Geliebte noch nie gesehen. Sie blickt und handelt wie eine Dämonin. Nichts bleibt von ihrem Wüten verschont! Vom Blitz getroffen sind die Paläste, denn auch die Naturgewalten gehorchen Armida. Verschwunden sind Götterfeste, Lustgeschäfte und Geisterkräfte. Geheimrat von Goethe unterstützt die Rasende und gemeinsam mit ihr wirbelt er alles durcheinander. Der Schlusschor gestaltet das sinnige Finale:
Segel schwellen,
Grüne Wellen!
Weiße Schäume;
Seht die grünen,
Weiten Räume,
Von Delphinen
Rasch durchschwommen.
Wie sie kommen!
Wie sie schweben!
Wie Sie eilen!
Wie sie streben!
Und verweilen
So beweglich,
So verträglich!
Das erfrischet,
Das verwischet
Das Vergangene
Dir begegnet.
„Wunderbar sind wir gekommen,
wunderbar zurückgeschwommen:
Unser großes Ziel ist da!
Schalle zu dem heiligen Strande
Losung dem gelobten Lande,
Godofred und Solyma!“
Letzte Änderung am 13.1.2018
Beitrag von Engelbert Hellen